
Ich habe, als ich noch mit Wildrosenöl experimentierte, eines aus dem Lebensmittelhandel verwendet - laut Händlerangaben aus der ganzen Hagebutte gepresst. Es ist ein knalloranges Öl, das ich in der Geschwindigkeit schon einmal mit meinem ebenfalls carotinoidstrotzenden Weizenkeimöl verwechselt habe. Und hier komme ich zu dem Punkt, über den die Forscher noch streiten. Gerade im direkten und gründlichen Vergleich dieser beiden Öle kam ich zum Schluss, dass die ganz spezifische extrem heilungsfördernde und regenerierende Wirkung von Wildrosenöl sich weder aus dem Gehalt an Carotinoiden noch aus jenem der Alpha-Linolensäure erklärt.
Eine Vitamin A-Wirkung würde hinreichend erklären, warum Wildrosenöl seine besonderen Hautpflegeeigenschaften hat. Bei Concha et al. findet sich die sinngemäß schon von Pareja und Kehl getätigte Aussage: "Rosehip oil produces the same benefits of synthetic tretinoin, but it is free of secondary side effects". Für meine atopische Dermatitis kann ich dies leider nicht bestätigen und erlebte bei spektakulär gesteigertem Wundheilungstempo (Besonders das Zusammenziehen der Wundränder ging so zielstrebig, wie ich es ohne Wildrosenöl noch nicht gesehen hatte) gleichzeitig allmählich auftretende Hautveränderungen, die mich an das gemahnten, was ich in Publikationen über Retinoid-Dermatitis beschrieben fand. Ich lernte also, vor Wildrosenöl großen Respekt zu haben, und wurde darin bestärkt, seinen trans-Retinsäure-Gehalt nicht nur für real sondern auch für äußerst wirksam zu halten.
Darum bin ich geneigt, jenen Forschern zu glauben, die all-trans-Retinsäure in dem von ihnen untersuchten Wildrosenöl nachweisen konnten. Den Zusammenhang des Retinsäuregehaltes mit der Art der Ölgewinnung fand ich beim Lesen der Studie von Concha et al. ebenso hochinteressant, wie ich die Vermutung der von Dir befragten Chemikerin verlockend finde. Andererseits macht die Annahme, das kaltgepresste Öl enthalte noch intakte Enzyme für die Umwandlung der Carotinoide in Retinsäure, der Behauptung, Vitamin A werde nur von tierischen Organismen gebildet, augenscheinlich den Garaus. Wenn der pflanzliche Organismus der Wildrose alle nötigen Enzyme zur Vitamin A-Synthese (und in weiterer Folge zur Retinsäure-Synthese) tatsächlich bildet, warum sollen diese Enzyme dann erst im gepressten Öl funktionieren?
Es mag eine komplexe biochemische Begründung geben, warum diese Enzyme in der lebenden Pflanze untätig bleiben, aber so lange ich diese Begründung nicht weiß, setze ich lieber Ockhams Rasiermesser an und gehe davon aus, dass also auch in der lebenden Wildrose eine Carotinoid-Oxygenase (wahrscheinlich eine ß-Carotin-15,15'-Mono- beziehungsweise -dioxygenase) und eine Aldehyddehydrogenase (etwa eine spezialisierte Retinaldehydrogenase) die entsprechenden Reaktionen beschleunigen.
Nimmt man die Theorie mit der im Öl stattfindenden Umwandlung der Carotinoide ernst, muss man sich im Umkehrschluss fragen, ob daher vielleicht auch andere carotinoidreiche Öle (wie beispielsweise Weizenkeimöl) eine gewisse Menge an Retinal, Retinol (falls eine der beiden Retinaleinheiten nach der Carotin-Spaltung zum Alkohol reduziert würde) oder gar trans-Retinsäure enthalten könnten. Da die Umwandlung von ß-Carotin zu Retinsäure eine Reihe enzymkatalysierter Oxidationsreaktionen umfasst, bleibt natürlich die Frage, ob die Oxidation der zentralen Doppelbindung (und damit die Spaltung in zwei Einheiten Retinal) mit ausreichend großer Wahrscheinlichkeit auch ohne Carotinoid-Oxygenase funktionieren könnte. Die Fähigkeit der Carotinoide, hochreaktiven Sauerstoff zu quenchen, ohne sich dabei chemisch zu verbrauchen, scheint die zufällig ohne Enzym ablaufende oxidative Spaltung von ß-Carotin zumindest weniger wahrscheinlich zu machen.
Daraus würde wiederum folgen, dass die beteiligten Enzyme sehr wohl von der Wildrose bereitgestellt werden müssen, um überhaupt einen Carotin-Metaboliten zu erzeugen. Damit wäre auch die Annahme, Vitamin A werde nur in tierischen Organismen erzeugt, in ernster Gefahr.
Einen kurzen Gedanken noch zur Anmerkung "In diesem Fall könnten sich im Öl befindliche Isopren-Einheiten Ausgangsstoffe für chemische Strukturen sein, die in der Analyse auf all-trans-Retinsäure deuten.", denn dies hieße ja de facto, dass die nachgewiesene Retinsäure sich nur in der Analyse so darstellt, indes aber keine ist. Mit Verweis auf meine eigenen Erfahrungen mit nativem Wildrosenöl gehe ich eher davon aus, dass sich mindestens ein Stoff mit Vitamin A-Wirkung tatsächlich im Wildrosenöl befindet.
Zur Enzymtheorie ist noch zu sagen, dass es dadurch jedenfalls logisch würde, auch geringe Mengen Retinal oder reduziertes (also Retinol) als Zwischenschritte der Retinsäure-Synthese im Wildrosenöl zu finden. Eine solche Behauptung habe ich bisher noch nicht gelesen. Weißt Du etwas darüber?

Dies alles sind spannende Gedanken, aber ich hoffe doch, dass die mit all ihren Messgeräten und -methoden bewaffneten Forscher uns bald eine genauere Antwort geben werden.
Liebe Grüße sendet
Harald